Die Mehrzahl der Menschen mit intellektuellen Behinderungen verbringt bis heute fast ihr gesamtes Arbeitsleben als Erwachsener in einer Werkstatt. Die Tätigkeit, die sie dort verrichten, gilt nicht als Erwerbsarbeit. Deshalb bekommen die Personen auch kein Entgelt. Sie sind nicht sozialversichert und haben keinen individuellen Anspruch auf eine Pension.
Zum Tag der Inklusion, dem europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, veranstaltet die Lebenshilfe ein Inklusionsofurm zum Thema „Gehalt statt Taschengeld“. Eine Podiumsdiskussion am 3.Mai samt Präsentation von Vorschlägen, wie die Umsetzung gelingen kann. Bund und Länder sind gefordert. Wir wollen die rechtliche Grundlage für Gehalt für Menschen mit Behinderungen in Österreich verändern. Wir fordern die Bezahlung von Gehältern und von individuell notwendiger Unterstützung anstelle von Transferleistungen für den täglichen Unterhalt und das Wohnen.
Österreich braucht ein Modell, das Selbstbestimmung zulässt!
Es ist eine Frage der Würde, ob Unterstützung als Taschengeld ausgezahlt wird, oder als Gehalt. Menschen mit Behinderungen haben das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Es geht um Gleichstellung. Die Lebenshilfe Österreich fordert eine aktive Teilhabe an Arbeit für Menschen mit intellektuellen Behinderungen. Die Lebenshilfe hat alle interessierten Gruppen, Verantwortliche aus Politik, Verwaltung und Partnerorganisationen zum Gespräch geladen.
Arbeit und gerechte Entlohnung sind ein Menschenrecht
Nach Artikel 27 der UN-Konvention haben Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Das beinhaltet auch das Recht, sich selbst den Lebensunterhalt zu verdienen.
Regierungsprogramm greift zu kurz
Das Regierungsprogramm sieht eine Erhöhung des Taschengelds für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten vor anstatt ihnen Gehalt zu zahlen. Dies entspricht weder dem Nationalen Aktionsplan Behinderung noch der UN-Behindertenrechtskonvention. Zum Tag der Inklusion 2018 veranstaltete die Lebenshilfe ein Inklusionsforum, um Lösungsansätze und wichtige nächste Schritte aufzuzeigen.
Circa 24.000 Österreicherinnen und Österreicher arbeiten in Werkstätten und Tagesstrukturen außerhalb des offenen Arbeitsmarktes und erhalten nur sehr geringe Bezahlung. Diese Tätigkeiten werden nicht als Erwerbsarbeit gewertet, obwohl derart Beschäftigte regelmäßig zur Arbeit gehen, an Geräten arbeiten und Produkte oder Dienstleistungen herstellen, zum Teil auch in ausgelagerten Gruppen bei Firmen. Hier handelt es sich um Maßnahmen der Länder nach den jeweiligen Sozialhilfe- bzw. Behindertengesetzen, die unterschiedliche Regelungen enthalten.
Inklusionsforum 2018 „Gehalt statt Taschengeld“
3. Mai 2018, 9:30 – 12 Uhr
Albert Schweitzer-Haus, Halle, Schwarzspanierstr. 13, 1090 Wien
Verantwortliche aus Politik und Verwaltung, Partnerorganisationen und Interessierte kamen am Vormittag des 3. Mai zum Inklusionsforum der Lebenshilfe ins Albert-Schweitzer-Haus in Wien. Anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, dem Tag der Inklusion, wurde die Änderung der Rechtslage diskutiert
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Elisabeth Rainer, Projektleiterin Step2, Lebenshilfen Soziale Dienste, Graz
- Herbert Pichler, Österreichischer Behindertenrat, Leiter Büro Chancen nutzen
- Alexander Miklautz, angefragt, Sozialministerium, Abteilungsleiter
- Renate Hackl Gruppenleiterin Land Oberösterreich, Abteilung Soziales
- Tom Schmid, Das Band, FH St. Pölten
- Moderation: Martin Habacher
Presseunterlagen:
Rechtlicher Hintergrund zur Forderung „Gehalt statt Taschengeld!“
Hier geht´s zu unserem Faktencheck zur rechtlichen Lage in Österreich
Pressemitteilung Inklusionsforum Gehalt statt Taschengeld
Pressemitteilung Nachbericht Inklusionsforum
Zitate:
„Wir machen tagtäglich unsere Arbeit und die ist auch anstrengend. Uns geht es ganz klar darum, für diese Leistung auch eine Anerkennung wie jeder andere auch zu bekommen“, so Mario Kucera, Beschäftigter in der Lebenshilfe-Werkstatt in Linz Urfahr. Seine Kollegin und Regionalsprecherin Christina Kapl ergänzt: „Wenn ich keine Beihilfen beziehen würde, könnte ich mir keine Wohnung leisten und ich muss auf finanziellen und gesundheitlichen Gründen jetzt auch in eine kleinere Wohnung wechseln. Die Politik sagt, wir sind ein Kostenfaktor. Wenn wir jedoch normal verdienen würden, wären wir nicht auf diese Beihilfen angewiesen“. Beide arbeiten in Industriegruppen der Fachwerkstätte in Linz Urfahr und erledigen Firmenaufträge wie Etikettierungs- und Kuvertierungsaufgaben – Aufgaben, für die Mitarbeiter in Firmen ein ganz normales Gehalt beziehen.
Christian Hackl arbeitet in der Lebenshilfe-Werkstatt in Linz Urfahr, weist auf einen weiteren Aspekt des Taschengeldes hin: „Taschengeld habe ich damals von Mama und Papa erhalten. Jetzt gehe ich einer geregelten Arbeit nach und werde noch immer wie ein Kind behandelt“. Gerhard Scheinast, Geschäftsführer der Lebenshilfe in Oberösterreich, erklärt: „Es brauchte ein Entlohnungsmodell, das selbstbestimmtes Handeln zulässt. Indem Österreich erwachsene Personen für ihre Arbeitsleistung mit einem Taschengeld entlohnen, sprechen wir ihnen pauschal die Fähigkeit zu einer autonomen Lebensführung ab“.
„Wir fordern die Bezahlung von Gehältern und von individuell notwendiger Unterstützung anstelle von Transferleistungen für den täglichen Unterhalt und das Wohnen. Es ist eine Frage der Würde, ob erwachsene Menschen Gehalt bekommen oder ständig um Geld ansuchen müssen. Österreich braucht ein Modell, das Selbstbestimmung zulässt. Es braucht gemeinsame Schritte von Bund und Ländern, um die Rechtslage in Österreich zu verändern. Wichtig ist die Hereinnahme ins ASVG und damit auch ins Pensionssystem und eine eigene Kollektivvertragsschiene in Werkstätten, ohne dass man in die Beihilfenfalle fällt“, so Albert Brandstätter, Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich.
„Das Inklusionsforum fordert alle Verantwortlichen dazu auf, konkrete Schritte zur Änderung der Rechtslage einzuleiten! Wenn das Sozialministerium und die Länder daran arbeiten, haben wir viel erreicht. Falls nicht, werden wir weitere Schritte zur Umsetzung der Menschenrechte in Österreich einleiten. Menschen mit Behinderungen haben das gleiche Recht auf Arbeit wie alle anderen auch. Wir wollen Gleichstellung“, so Hanna Kamrat, Vizepräsidentin und Vorsitzende des Selbstvertretungs-Beirats der Lebenshilfe.
Herbert Pichler, Präsident des Österreichischen Behindertenrats und Leiter Büro Chancen Nutzen: „Schon die Bezeichnung `Taschengeld‘ weist auf das Grundproblem hin. Menschen mit Lernschwierigkeiten werden oftmals nicht ernst genommen und ihr Leben lang auf die gleiche Ebene wie Kinder gestellt. Sie haben das Recht auf Respekt und auf ein eigenes Einkommen, das ihnen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht!“
„Wichtig ist uns, dass Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Sie erfahren dadurch Wertschätzung für ihre Leistung, Begegnungen werden ermöglicht und Inklusion – die selbstverständliche Teilhabe – aktiv gelebt. Wir sind überzeugt, dass auch Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf – mit entsprechender Assistenz – ebenfalls zeigen können, wo ihre Stärken liegen. Eine entsprechende Entlohnung für die erbrachte Leistung sollte daher, wie für uns alle, üblich sein“, erklärt Georg Matzak, Geschäftsbereichsleiter Mobile Dienste der Lebenshilfe in Vorarlberg. „Ein Wegfall von Beihilfen – wie Familienbeihilfe, Waisenpension, etc. – wird im Vorfeld von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den entsprechenden Behörden abgeklärt. Dies ist beispielsweise bei geringfügigen Beschäftigungen und der damit eingehaltenen Mindestgrenzen meist keine Barriere, um den Schritt nicht zu wagen. Allerdings werden gewisse Transferleistungen des Gesundheitssystems vom Gehalt abgelöst und damit fallen Sonderleistungen in der Begleitung weg“, so Georg Matzak.
„Wir sehen uns gerne gemeinsam mit dem jeweiligen Unternehmen an, welche Möglichkeiten es gibt. Danach schauen wir, welche Person bringt die Fähigkeiten dafür mit und hat eventuell schon in unseren Werkstätten und Qualifizierungsprogrammen entsprechende Tätigkeiten erlernt. Wir kontaktieren auch Unternehmen, wenn wir Menschen mit Behinderungen begleiten, die gerne in diesem Bereich arbeiten möchten“, beschreibt Georg Matzak den Ablauf.
Für Selbstvertreter und Vorstandsmitglied Klaus Brunner ist für Menschen mit Behinderungen ein Gehalt aus einem weiteren Grund noch wichtig: „Unsere soziale Stellung ändert sich – vom Almosen-Empfänger zum gleichgestellten Bürger. Zudem sind wir erwachsene Menschen und nur Kinder bekommen ‚Taschengeld‘! Durch einen richtigen Arbeitsplatz und Gehalt steigt unser Selbstwert und unsere Würde. Wir haben dazu die Möglichkeiten, uns weiterzuentwickeln und auch mit der Zeit neue Tätigkeiten zu erlernen. Denn ich bin überzeugt, dass auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf etwas leisten.“
„Als die ersten Gespräche mit Andreas Pap von der Lebenshilfe Vorarlberg stattfanden, hatte ich zunächst meine Bedenken wie gut es klappt. Aber ich wollte René Fischer die Möglichkeit geben, bei uns in den Betrieb reinzuschnuppern und zu zeigen, was er kann. 2016 hat er bei uns in der SPIELFABRIK zu schnuppern begonnen und ist seither für die Geschirrwägen im Selbstbedienungsrestaurant zuständig. Wenn diese voll sind, bringt er sie in die Küche, leert die Abfälle von den Tellern und sortiert das Geschirr. Danach muss sich eine Mitarbeiterin nur mehr um das Befüllen des Geschirrspülers kümmern“, erzählt Natty Handle, Geschäftsführerin der SPIELFABRIK in Dornbirn.
Mittlerweile arbeitet René Fischer, der einen höheren Unterstützungsbedarf hat, 15 Stunden die Woche und ab Sommer dann sogar 20 Stunden im Indoorspielplatz: „Mir gefällt die Arbeit voll gut und die Leute sind sehr nett zu mir. Ich kann auch immer sagen, wenn ich Hilfe brauche, dann helfen sie mir. Dachte am Anfang, dass sie jemand brauchen, der schneller ist als ich. Aber jetzt arbeite ich jeden Nachmittag hier und bekomme auch mehr Geld – das ist voll gut! Ich wollte nicht nur in der Werkstätte arbeiten. Und jetzt arbeite ich wie jeder andere auch.“
„René ist fleißig und zuverlässig. Alle im Team arbeiten gerne mit ihm zusammen. Wenn es doch mal etwas gibt, wo wir unsicher sind, dann können wir uns jederzeit an das Team der Lebenshilfe wenden. Das ist eine große Hilfe. Da alles so gut klappt, haben wir uns auch entschlossen einen weiteren integrativen Arbeitsplatz zu ermöglichen. Anderen Unternehmen kann ich nur Mut machen, es auch zu versuchen“, so Natty Handle.
Aber nicht nur für Unternehmen braucht es Mut, den Schritt zu wagen, sondern auch für die Betroffenen selbst. „Wir Menschen mit Behinderungen müssen auch rausgehen aus unserer gewohnten Umgebung mit vertrauten Personen und den Schritt in eine Firma wagen. Nur dadurch können wir neue Erfahrungen machen und dazulernen. Wir sind aber bereit, nicht nur Rechte zu haben, sondern auch Pflichten zu übernehmen. Wir wollen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten“, betont Selbstvertreter Klaus Brunner abschließend.
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