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BildungInklusion

Warum ich an eine inklusive Schule glaube – von Bernhard Schmid

Von 20. Juni 2016 Keine Kommentare
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Warum ich an eine inklusive Schule glaube – von Bernhard Schmid

Von 20. Juni 2016 Keine Kommentare
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Straßenkunst in Lissabon. Hier hat heuer die Europe in Action–Konferenz stattgefunden.

Was tun, wenn sich Eltern mit der Inklusion schwer tun? Bernhard Schmid rät, ihre Sorgen ernst zu nehmen und mit ihnen zusammenzuarbeiten…

Zudem müssen SelbstvertreterInnen verstärkt in das Thema „Schule für alle“ eingebunden werden. Und nicht zuletzt dürfen wir Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf nicht im Diskurs zur Inklusiven Bildung vergessen.

Bernhard Schmid ist als Angehöriger eines Sohnes mit Down-Syndrom seit 2007 Mitglied der ständigen „Inclusive Education Workgroup“ von Inclusion Europe:

Aktuell beschäftige ich mich mit Anregungen und Forderungen für den „General Comment“ zu Artikel 24 der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung.
Dieses Schriftstück wird voraussichtlich bis Herbst von den UN freigegeben. Es wird die Bestimmungen bezüglich inklusiver Bildung und die Absicht dahinter ganz konkret, ganz praktisch und ganz unmissverständlich im Detail interpretieren und somit eine wesentliche Orientierungshilfe für Politiker und InteressenvertreterInnen abgeben.
Für nächstes Jahr ist eine europaweite Studie über gute Beispiele von Beschulungen von SchülerInnen mit schweren Beeinträchtigungen in Regelschulen geplant. Heuer war ich Teil des Organisationsteams der Tagung von Inclusion Europe Ende Mai in Lissabon. Am Abschlusstag leitete ich eine Arbeitsgruppe, von der ich hier nun berichten möchte:
 
Beteiligung von Eltern beim Thema Schulbildung
 
Familien, vor allem die Eltern, sind bei der schulischen Ausbildung von Schüler/innen mit intellektueller Beeinträchtigung ganz wesentlich mitbeteiligt:
 
      Eltern suchen die Schulen für ihr Kind aus
      Eltern stellen sicher, dass die Rechte ihres Kindes in der Schule berücksichtigt werden
      Eltern sind an Schulprojekten beteiligt
      Eltern sind teilweise direkte Unterstützer/innen in der Klasse
      Wenn nötig, fordern Eltern verhältnismäßige Adaptionen und Maßnahmen zum barrierefreien Zugang ein
      Eltern kämpfen um Anerkennung und Teilnahme ihres Kindes innerhalb der Schulgemeinschaft.
 
Familien, bestehend aus Eltern, Geschwistern und allenfalls Großeltern und weiteren Mitgliedern, bilden in der Regel für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung von Geburt an den engsten und verlässlichsten Unterstützerkeis aus Vertrauenspersonen.
 
Eltern tun alles in ihrer Macht stehende für das Wohl ihres Kindes. Das erfordert einen großen Teil ihrer Energie und ihrer Zeit. Oft bleibt dann nicht mehr viel übrig für den gemeinsamen Kampf mit anderen Eltern und deren Kindern. Ist die Schule vorüber, schwindet das Interesse für Schul-Engagment meist endgültig, denn andere Themen werden nun persönlich wichtig, es sei denn, man ist als LehrerIn oder InteressenvertreterIn auch beruflich mit dem Thema beschäftigt.
Noch mehr gilt das übrigens für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung selbst. Ist einmal die Schulzeit vorbei, werden andere Themen wichtiger, in der Schulzeit ist das Kind oder der Jugendliche mit Beeinträchtigung noch nicht so weit, um sich zu engagieren. Bei der Tagung in Lissabon sind mir jedoch etliche SelbstvertreterInnen aufgefallen, die eine Kindheit in Anstalten oder Sonderschulen verbracht haben und sich im Erwachsenenalter nun für inklusive Bildung einsetzen. Sie wollen wohl erreichen, dass andere Mitbetroffene nie wieder unter solch menschenunwürdigen Bedingungen aufwachsen müssen!
 
Doch zurück zu den Eltern: Eltern, die sich über die Bewältigung ihre täglichen Anforderungen hinaus für eine gute inklusive Beschulung ihrer Kinder mit intellektueller Beeinträchtigung einsetzen, stellen sich große Hindernisse in den Weg:
 
 
      Sie haben zu wenig Zeit und zu wenig eigene Ressourcen
      Sie verfügen über zu wenig Information
      Sie wissen wenig Bescheid über und haben wenig Selbstbewusstsein für eine starke Interessenvertretung
      Sie haben zu wenig Wissen über Methoden und Fertigkeiten für erfolgreiche Aufbau- und Ablauforganisationen und Verhandlungsführung
      Mit einem Wort: es gibt zu wenig Unterstützung, zu viele Hindernisse, zu viele GegnerInnen…

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Standseilbahn in Lissabon. Ein Berg ist kein Hindernis. Wir müssen nur an einem Strang ziehen.

Welche Unterstützung kann Eltern gegeben werden, um ihren eigenen Kampf und den gemeinsamen Kampf mit Mitbetroffenen zu organisieren:
 
      Kursangebote zur Stärkung des Selbstvertrauens, zur Information über Rechte, Bestimmungen, Abläufe, Ansprechstellen, usw.
      Trainingsangebote zur Vermittlung von Fähigkeiten, sich in Gruppen zu organisieren, wirksam Forderungen zu stellen und erfolgreich zu verhandeln
      Unterstützung von Elterninitiativen durch Know-How, Geld, Arbeitskraft und Infrastruktur
      Vermitteln oder Betreiben von Informationsdrehscheiben, Austausch-Foren, Vernetzungsplattformen.
 
Diese Unterstützung können am besten Elternorganisationen geben, wie z.B. die Lebenshilfe eine ist. Obwohl das Hauptinteresse von Eltern der Lebenshilfe bei „Erwachsenenthemen“ liegt, ist doch den ehrenamtlichen und angestellten InteressenvertreterInnen der Lebenshilfe – wie auch mir – der hohe Stellenwert einer guten Ausbildung im gemeinsamen Klassenverbund mit Kindern unterschiedlicher Fähigkeiten und Potentiale bewusst und auch jeder Einsatz wert.

Für die Verbesserung individueller Lebensumstände Betroffener und für die Festigung und Optimierung unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts lohnt es sich, eigene Ressourcen und solcher der Organisation aufzubieten und anderen Eltern und Initiativen zur Verfügung zu stellen!

Die Europe in Action-Konferenz von Inclusion Europe zum Thema „Inklusive Bildung und Familienbeteiligung“ in Lissabon hat vielen Eltern wieder Mut gemacht: sie sind nicht allein, sie kommen mit vielen Ideen und konkreten Erfahrungen anderer Mitbetroffener wieder nach Hause, in der Gewissheit, dass es Organisationen gibt, die ihnen beim gemeinsamen Kampf für die inklusive Schule beistehen.

Persönlich nehme ich folgende drei Punkte aus Lissabon mit:

  1. Eltern mit ihren Sorgen ernst nehmen, stärken und mit ihnen zusammenarbeiten! Auch und gerade, wenn sie der Inklusion skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.
  2. SelbstvertreterInnen auch beim Schulthema stärker einbinden!
  3. Menschen mit schweren Beeinträchtigungen sichtbar machen und aktiv teilhaben lassen!

Andreas Zehetner hat bereits am 8. Juni aus Sicht der Selbstvertreter über dieses internationale Ereignis vom 26. – 28. Mai 2016 berichtet: EPSA Konferenz & „Europe in Action“ in Lissabon – Ein Bericht von Andreas Zehetner.

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