Schlechte Noten für Österreich beim Thema Inklusion nach Staatenprüfung, Philippe Narval übernimmt die Funktion des Generalsekretärs
Drei Gesprächspartner*innen, drei ganz persönliche Geschichten. Sie alle haben ein gemeinsames Ziel vor Augen: die Inklusion in Österreich voranzutreiben und Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen ein selbstbestimmtes und gutes Leben zu ermöglichen.
Philippe Narval, seit Mitte November Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, Hanna Kamrat, Vorsitzende des Selbstvertretungs-Beirats und Vizepräsidentin der Lebenshilfe Österreich und Anton Henckel-Donnersmarck, seit Juni 2022 Präsident der Lebenshilfe Österreich, haben im Gespräch ihren persönlichen Bezug zu inklusiver Bildung, inklusivem Arbeitsmarkt sowie die Wahlfreiheit und Selbstbestimmung von Menschen mit intellektuellen Behinderungen thematisiert. Dabei haben sie aufgezeigt, was das schlechte Abschneiden bei der Staatenprüfung im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention und das Nicht-Handeln der Politik für Menschen mit intellektuellen Behinderungen tatsächlich bedeutet.
„Menschen mit Behinderungen haben dieselben Rechte auf Selbstbestimmung und Inklusion wie Menschen ohne Behinderungen. Sie wollen – wie alle anderen – ein selbstbestimmtes Leben führen und am Leben teilhaben.“ eröffnet Hanna Kamrat, Vorsitzende des Selbstvertretungs-Beirats und Vizepräsidentin der Lebenshilfe Österreich, das Gespräch und ergänzt: „Obwohl Menschen mit intellektuellen Behinderungen ein Recht darauf haben, können sie oft nicht frei wählen. Sie dürfen nicht selbst entscheiden, ob sie allein, mit Partner*in oder Freund*in in einer Wohnung, WG oder betreuten Wohngruppe leben und wohnen möchten, in welche Schule sie gehen und welchen Beruf sie erlernen oder wo sie arbeiten möchten. Damit Menschen mit intellektuellen Behinderungen diese und andere Wahlmöglichkeiten haben, ist es höchste Zeit, dass die Politik uns hört und die UN-Behindertenrechtskonvention, die bereits vor 15 Jahren in Österreich in Kraft getreten ist, endlich dementsprechend umsetzt.“ so Hanna Kamrat.
„Unsere Forderungen haben sich auch durch den neuen Generalsekretär nicht geändert und müssen weiter vorangetrieben werden.“ bekräftigt der Präsident der Lebenshilfe Österreich, Anton Henckel-Donnersmarck, dessen Bruder mit einer intellektuellen Behinderung in einer Einrichtung der Lebenshilfe lebt und arbeitet. „Beim Thema ‚inklusiver Arbeitsmarkt‘ braucht es die Einführung von „Lohn statt Taschengeld“, damit auch Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte und Wahlmöglichkeiten haben wie alle anderen Menschen auch. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu zu schaffen sind langjährige Forderungen der Lebenshilfe an die Politik.“ so Henckel-Donnersmarck weiter. „Ein Schritt in die richtige Richtung wurde beim Ministerrat im Juni 2023 bereits gemacht. Menschen mit Behinderungen sollen, unabhängig vom Ausmaß ihrer Arbeitsfähigkeit, bis zu ihrem 25. Lebensjahr endlich den vollen, gleichberechtigten Zugang zu den Unterstützungsleistungen des AMS und des Sozialministeriumsservice erhalten. Auch das im Herbst in Kärnten gestartete Pilotprojekt ‚Lohn statt Taschengeld‘ ist ein vorzeigbarer Erfolg. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, um Menschen mit intellektuellen Behinderungen die Chance auf ein selbstbestimmtes und inklusives Leben sowie die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.“ sagt Henckel-Donnersmarck abschließend.
„Als Vater von drei Kindern, mein Sohn hat eine Autismus-Spektrum Störung, liegt mir naturgemäß das Thema Bildung, vor allem inklusive Bildung, sehr am Herzen.“ bekräftigt der neue Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, Philippe Narval, sein Anliegen. „Es kann und darf nicht sein, dass Kinder mit Behinderungen in Österreich noch immer keinen gleichberechtigten Zugang zu hochwertiger Bildung haben – obwohl Bildung ein Menschenrecht ist.“ so Narval weiter. „Meine Familie und ich haben diese ‚Bildungs-Diskriminierung‘ am eigenen Leib erfahren. Mein Sohn wollte nach der Pflichtschule ins Gymnasium wechseln. Das wurde ihm verwehrt, weil er die Pflichtschule erfolgreich abgeschlossen hatte. Deshalb werde ich mich mit aller Kraft für ein inklusives Bildungssystem einsetzen. Ein Bildungssystem, das allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Behinderungen gewährleistet, gemeinsam mit anderen Kindern in den Kindergarten und in die Schule zu gehen, eine Berufsausbildung zu machen und studieren zu können. Es ist an der Zeit, dass die Politik, aber auch die Gesellschaft endlich umdenkt.“ sagt Philippe Narval.
Philippe Narval folgt Markus Neuherz als Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich
„Das gesamte Team der Lebenshilfe Österreich sowie alle Landesorganisationen danken Markus Neuherz für seinen außerordentlichen Einsatz als Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich in den letzten beiden Jahren.“ so Anton Henckel-Donnersmarck, Präsident der Lebenshilfe Österreich. „Markus Neuherz hat sich beharrlich für die Rechte und Anliegen von Menschen mit Behinderungen eingesetzt. Bestimmt, aber dennoch mit viel Menschlichkeit und Fingerspitzengefühl, hat er die Politik immer wieder mit den Anliegen und Forderungen von Menschen mit intellektuellen Behinderungen konfrontiert. Er hat die Politiker*innen aufgefordert, die auch in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerten Rechte von Menschen mit intellektuellen Behinderungen nach Selbstbestimmung und Teilhabe endlich umzusetzen. Inklusive Bildung, Lohn statt Taschengeld und Deinstitutionalisierung sind nur einige der Themen, die Markus Neuherz als Generalsekretär erfolgreich vorangetrieben hat und die wir auch künftig in seinem Sinne weiter vorantreiben werden.“ sagt Henckel-Donnersmarck abschließend.
Markus Neuherz war von September 2021 bis Ende Oktober 2023 Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich und hat die Agenden Mitte November an seinen Nachfolger Philippe Narval übergeben.
Kurz-Biografie Philippe Narval
Philippe Narval ist seit Mitte November 2023 Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich. Er war neun Jahre Generalsekretär des Europäischen Forum Alpbach und danach Gründungsintendant des universitären Experimentierfelds SQUARE an der Universität St. Gallen (HSG). Als Vortragender, Kolumnist und Buchautor („Die freundliche Revolution“) widmet er sich regelmäßig Fragen in Bezug auf Partizipation, Inklusion und Transformation. Sein Studium absolvierte er unter anderem am King’s College London und an der Universität Oxford.